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Hybridtuner schaffen Druck auf Privatradios (2/2) | |
Der nur halb gelungene „Aktionsplan für die Transformation der Hörfunkverbreitung in das digitale Zeitalter“ wurde längere Zeit von der Politik nur bedingt flankiert. Schließlich kam Druck von aussen: Die Ende 2018 verabschiedete EU-Vorgabe für Hybridtuner in Neuwagen-Radios stimulierte die in Deutschland politisch Verantwortlichen zu einer Hochleistung.
Dass die Bundesländer teils komplett gegensätzliche Strategien zum digitalen Hörfunk fahren, ist ein Aspekt, der die Entwicklung von DAB+ in Deutschland bremst. Schließlich sind die Bundesländer aufgrund ihrer „Rundfunkhoheit“ massgeblich für die politischen Entscheidungen zu Radio und Fernsehen. Der Bund war auch nicht gerade konsequent, wie gleich zu lesen ist. Das Verhalten der Bundesregierung könnte man, über mehrere Legislaturperioden hinweg betrachtet, aber auch freundlich mit „lernfähig“ bezeichnen.
2017 eine verspätete Überraschung aus dem Kanzleramt scheiterte am Zeitplan
So kam ein Beschluß des Bundeskabinetts vom April 2017 gänzlich unerwartet. Die 4. Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) beinhaltet die im Kabinett Merkel sowohl 2011 als auch noch im November 2016 gescheiterte Verpflichtung per Gesetz, bestimmte Radios mit Multistandard-Tunern auszustatten. Diese Novelle erweitert den §48 des TKG wie folgt:
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Jedes neu zum Verkauf, zur Miete oder anderweitig angebotene, überwiegend für den Empfang von Ton- Rundfunk bestimmte Empfangsgerät, das den Programmnamen anzeigen kann, muss mit mindestens einer den anerkannten Regeln der Technik entsprechenden Schnittstelle ausgestattet sein, die es dem Nutzer ermöglicht, digital codierte Inhalte zu empfangen und wiederzugeben.
Während einer einjährigen Übergangsfrist nach Inkrafttreten dürfen Geräte ohne Schnittstelle „zum Verkauf angeboten werden“.
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Das hätte man viel früher haben können. Erst ein paar Tage vor diesem Beschluß hatte der Bundestag die 3. TKG-Novelle verabschiedet. Das Thema Digitalradio dort zu berücksichtigen - ein Vorschlag des Bundesrates auf Initiative von Rheinland-Pfalz - hatte das Kabinett Merkel im November 2016 abgeschmettert. Aufgrund fehlender EU-Richtlinien zum Hörfunk bestehe kein Bedarf für eine nationale Regelung, hieß es. Und: Die Bundesländer seien ohnehin nicht zuständig. Der Referentenentwurf zur 4. TKG-Novelle wird ausgerechnet mit dem Füllen besagter Lücke in der EU-Richtlinie 2014/53/EU (Sicherheit und Interoperabilität von Funktechnik aller Art, dehnmedia) begründet: Die neuen Vorgaben „dienen zudem einem von der Richtlinie nicht erfassten Zweck (Ziel: Förderung Digitalisierung Hörfunk)“, heißt es in der offiziellen Drucksache.
Zu erwarten wäre gewesen, dass das Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur (geführt von Alexander Dobrindt, CSU) diesen Referentenentwurf vorlegt. Zeitlich passend zur Debatte um die Roadmap - das wäre angemessen gewesen. Der Entwurf stammt jedoch aus dem Bundeswirtschaftsministerium (Ministerin: Brigitte Zypries, SPD). Die Novelle steht im Mai 2017 am Beginn des Gesetzgebungsverfahrens und wurde bis zu den Bundestagswahlen im September 2017 nicht erledigt. Die neue GroKo kündigte 2018 an, die Novelle des §48 wieder in den parlamentarischen Ablauf einzuspeisen.
Was fast jeder freiwillig macht, ist als Gesetz nicht schädlich
Die Hersteller bekennen sich freilich längst zu Multistandard-Konzepten, was nicht nur in jedem Fachgeschäft sichtbar ist. Die Verkaufszahlen bestätigen diesen Eindruck. So haben Digitalradios 2015 nach Angaben der GfK 30 Prozent zum Gesamtumsatz mit Radios beigetragen. 13 Prozent aller verkauften Radios waren mit digitalem Empfang ausgestattet. Zum Umsatz im Radiomarkt trugen die 952.000 verkauften DAB+-Radio sogar 30 Prozent bei. Für 2016 bilanziert der Branchenindex Cemix einen Verkaufszuwachs um 21 Prozent auf knapp 1,2 Millionen Digitalradio-Geräte, was einem Umsatzanstieg um 27,5 Prozent auf 176 Millionen Euro entspreche.
Eine entscheidende Frage: Welche Position haben die Bundesländer?
Die Bundesländer sind laut Grundgesetz für Fragen des Rundfunks verantwortlich. Wie wirken sie an der Radio-Digitalisierung mit? Finden sie einen Kompromiss zwischen den widersprüchlichen Interessen z.B. von Bayern und NRW zum Lokalradio?
Die Länder sind auch für die Finanzierung von ARD und D-Radio zuständig und damit für die Kosten der Radioverbreitung. Die KEF bereitet die Entscheidungen der Bundesländer über die Höhe des Rundfunkbeitrags vor.
Die KEF hatte die Ausgaben für DAB+ kräftig gekürzt und festgestellt: Ein Umstieg von UKW könne nicht gelingen „wenn es nicht zu klaren Festlegungen zu DAB+ kommt und ein realistischer Abschaltzeitpunkt für UKW beschlossen wird“. Die KEF formulierte folgende vier „Meilensteine“:
• | Bund und Länder haben eine Entscheidung über ein Konzept zur Abschaltung von UKW getroffen. |
• | Die Marktpartner haben sich auf eine Methodik zur Ermittlung der DAB+-Nutzung geeinigt und die Nutzungszahlen werden publiziert. |
• | Bedeutende Automobilhersteller bieten DAB+-Radios als Serienausstattung an. |
• | Mindestens 27 % aller Haushalte besitzen ein DAB+-Empfangsgerät. |
ARD und Deutschlandradio sollen diese Forderungen bis 2019 erfüllen. Die KEF erwartet im Grunde, dass auch die Privaten sich diesen Zielen anschließen. Das war schon Ende 2015 unrealistisch, als die KEF ihren 20. Bericht schrieb. Der VPRT hatte schon immer eine UKW-Abschaltung abgelehnt, was der KEF bekannt war. Und der Ausstieg des VPRT aus dem Digitalradio-Board zeigt, dass Skeptiker in Sachen UKW-Abschaltung Recht behielten. Der Appell an Bund und Länder fällt - siehe Roadmap - dem fehlenden Gestaltungswillen der Politik zum Opfer.
KEF und Bundesländer fordern von ARD und D-Radio letztlich den Verzicht auf UKW
Ungeachtet dieser Realitäten betrachtet der 20. KEF-Bericht „die Kosten der Hörfunkverbreitung per UKW und DAB+ erstmalig gemeinsam und führt sie stufenweise auf das Niveau zurück, das nach Angaben der Rundfunkanstalten für die alleinige Verbreitung von DAB+ benötigt werden wird.“ Weitere Streichungen „in vergleichbarer Höhe“ werden für die Zeit nach 2020 angedroht. Der unscheinbare Satz fordert von ARD und D-Radio letztlich den Verzicht auf die Radioverbreitung über UKW. Senden ARD und D-Radio schon ab 2020 in einer digitalen Insel und verlieren dadurch möglicher viele Hörer? Die Privatradios wirds freuen.
Auf dem Umweg über solche KEF-Vorgaben nehmen die Bundesländer denn doch massiven Einfluß auf die Zukunft der Radioverbreitung. Das tun sie über die Höhe des Rundfunkbeitrags. Ein Konzept für die Digitalisierung der Medien insgesamt haben die Bundesländer nicht. Die Roadmap verschiebt schon den Entwurf (abgesehen von Entscheidungen) in eine unbestimmte Zukunft. Seit dem Start des klassischen DAB vor fast 20 Jahren wurde die Gestaltung der Hörfunk-Digitalisierung konsequent ignoriert.
Update Herbst 2019: Bundestag verabschiedet das Hybridradiogesetz
Nachdem die EU im Dezember 2018 Digitaltuner in Autoradios - und optional in weiteren Radioprodukten - zur Pflicht machte, zog die Bundesregierung nach. Sie wärmte, von den EU-Vorgaben abgesehen, die liegengebliebene TKG-Novelle von 2017 ohne signifikante Änderungen wieder auf.
Zu den Änderungen der 6. Novelle des TKG - unter der Überschrift der Interoperabilität der Rundfunkempfänger - gehört zum Einen die im neuen Absatz 4 formulierte Übernahme der EU-Vorgabe. Deutschland geht aber mit dem neuen Absatz 5 einen Schritt weiter: Ab dem 21. Dezember 2020 müssen alle Radios mit Anzeige des Sendernamens - also z.B. auch Heim- und portable Empfänger - einen Digitaltuner haben. Das kann (z.B. bei Heimgeräten) auch ein Webradio-Empfang erfüllen.
Die Gesetzesvorlage wurde am 31. Juli 2019 vom Kabinett beschlossen. Am 16. Oktober 2019 empfahlen drei Bundestags-Ausschüsse die Annahme. Das tat das Plenum des Bundestages am 17. Oktober 2019. Die Notifizierung durch die EU ist zu erwarten.
Die 6. TKG-Novelle erhebt gelebten Radioalltag zum Gesetz. Statt die Digitalisierung frühzeitig zu gestalten ist der Bund der Radiodigitalisierung seit Jahren hinterher gerannt. Inwieweit die UKW-Lobby dabei mitgebremst hat, sei dahingestellt. Nach acht Jahren DAB+, einem Sprung von in einigen Bundesländern über 50 Prozent bei den Verkaufszahlen und einer Haushaltsausstattung von knapp 25 Prozent fügt man sich in das Unvermeidliche.
Weitere Informationen:
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DAB+-Ausstattung. Grafik: Digi-Bericht Audio 2019 (klicken zum Vergrößern). |
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