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DAB+ - EWF für den Notfall der Fälle (3/3) | |
Auch wenn hartnäckige Befürworter des Webradios es nicht wahrhaben wollen: DAB+ steht jederzeit und unabhängig von der Nutzerzahl vor Ort und Verbindungsgebühren zur Verfügung. Muss man, z.B. im Krisenfall, möglichst viele Menschen sicher und schnell informieren, können sich die Behörden auf DAB+ und die „Emergency Warning Functionality“ (EWF) verlassen. Das zeigte sich u.a. beim bundesweiten „Warntag“ im September 2020.
EWF gibt den Einsatzleitungen ein Werkzeug an die Hand, die Bevölkerung umfassend zu informieren, Hinweise zum Verhalten mitzuteilen usw. Das nicht nur, wenn wichtige Netze wie der Mobilfunk z.B. wegen Überlastung blockiert sind oder deren Infrastruktur unterbrochen ist. Nicht zuletzt: Authentische Informationen aus offizieller Quelle bekommen angesichts von Fake-News usw. eine zusätzliche Bedeutung. EWF entstand aus einem Projekt des Fraunhofer IIS, von Bayern Digitalradio (BDR), der Firma TMT und des Herstellers Noxon.
Auch abgeschaltete Radios werden erreicht
Abhängig vom Ereignis kann der am Besten geeignete Multiplex - lokal, regional oder landesweit - genutzt werden. Die Leitstelle löst bei Alarm ein Signal aus, das alle geeigneten Geräte im Empfangsgebiet auf einen speziellen Notfallkanal schaltet. Prinzipiell können sogar Radios aus dem Standby-Modus „geweckt“ werden, um noch mehr Menschen als die gerade aktiven Radiohörer zu informieren.
Diese Informationen werden sowohl als Audio-Durchsage als auch mittels Journaline als Lauftext - und bei Bedarf in mehreren Sprachen - gesendet. Die Einsatzleitungen haben zudem die
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Kurzer Videobericht zum Testablauf (vergrößerbar). |
Option, Meldungen gezielt in die Versorgungsbereiche einzelner Sendestandorte zu versenden. Erste Tests wurden 2013 und dann im November 2014 zusammen mit der Leitstelle Bayreuth/Kulmbach durchgeführt (siehe Video).
Mit der Teilaufgabe Audio dieses Konzepts beschäftigte sich zuvor der „Infokanal Bayern“. Für Tests stellte BDR von September 2016 bis Ende April 2017 einen Programmplatz in seinem damaligen landesweiten Multiplex zur Verfügung. Dort wurden gesprochene „allgemeine Informationen zum Wetter“ gesendet. Die Durchsagen konnten jederzeit um „Features zu außergewöhnlichen Wettererscheinungen“ und „bei akuter Gefahr auch Informationen und detaillierten Prognosen zu Wetterereignissen“ umgeschaltet werden. Dieses Konzept könnten natürlich auch Leitstellen nutzen, um Meldungen zu „Ereignissen mit möglichem Katastrophenpotential (z.B. Terrorwarnung)“ zu verbreiten. Beim Infokanal arbeitete BDR bis April 2017 mit den Firmen TMT, Zenon Media, AVT Audio Video Technologies, dem Wetterdienst Kachelmann und Behörden zusammen.
Dauertest in Bayern, Projekt in Sachsen-Anhalt
Ein Dauertest begann im November 2018. Im Erlanger DAB+-Kanal, den Fraunhofer IIS betreibt, läuft ein Informationsprogramm zum Thema EWF. Dieses wird jeweils zur vollen Stunde durch einen Alarm unterbrochen und auf einen Notfallkanal umgeschaltet.
In Sachsen-Anhalt begann ein Pilotprojekt mit EWF und Testgeräten von Noxon und Imperial/Telestar Anfang November 2019 in Zusammenarbeit mit dem Programmfamilien Radio SAW und Radio Brocken im landesweiten DAB+-Mux. Wiederum dabei ist das Fraunhofer IIS-Institut.
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Behörden-Infos als Lauftext auf dem Display (klickbar). |
Neue Software macht breiten Einsatz in Empfängern ab 2020 möglich
Natürlich werden Dienste wie EWF erst breit wirksam, wenn die Funktion in zahlreichen Geräten implementiert ist, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Das ist (zumindest für Radios mit Display) im Prinzip kein Problem, wenn die DAB+-Features wie Journaline verwendet werden. Die „Weckfunktion“ von EWF funktioniert Ende 2019 aber nur mit wenigen Radios.
Abhilfe verspricht ein von dem an den genannten Projekten beteiligten Fraunhofer IIS-Institut im Sommer 2018 vorgestelltes Upgrade des Software-Pakets für Empfangsgeräte. Das Paket wird nur an Gerätehersteller abgegeben; als wichtige B-to-B-Zielgruppe nennt Fraunhofer IIS die Autohersteller bzw. deren Zulieferer. Mit der Auslieferung erster Produkte mit EWF-Funktion wird ab Mitte 2019 gerechnet. Produkte in größerem Umfang werden wohl erst 2020 in den Handel kommen.
Aktualisierungen der Systemsoftware sind wohl nur bei wenigen Autoradios und dann durch eine zugelassene Werkstatt möglich. Vorhandene tragbare und Heim-Radios können leider nicht nachgerüstet werden.
Nicht ohne EWF: DAB+ erfolgreich beim nationalen „Warntag“ 2020
Der bundesweite „Warntag“ am 10. September 2020 bot erstmals die Gelegenheit zu einem großflächigen Test verschiedener Plattformen für die Verbreitung von Notfallinfos im gesamten Bundesgebiet. Dabei wurden Daten aus dem „modularen Warnsystem“ (MoWaS) des Bundes in diverse Systeme eingeschleust und sollten dort ausgegeben werden. Das Ergebnis war insgesamt eher peinlich: Der Probealarm „ist aufgrund eines technischen Problems fehlgeschlagen“, resumierte das Bundesinnenministerium kurz angebunden. Laut Medienberichten trat eine Überlastung des zentralen „modularen Warnsystems“ des Bundes ein: Zu viele Dienststellen wollten zeitgleich Daten einspielen.
Rundweg positiv schneidet jedoch die Mitwirkung des digitalen Rundfunks mit DAB+ ab. Beteiligt waren der Plattformbetreiber Media Broadcast mit dem Bundesmux1 (Block 5C) und der Privatmux Sachsen-Anhalt (Block 11C). Die Zuschaltung einer Warnmeldung und der dazugehörigen Signalisierung aus dem Kölner Funkhaus von Deutschlandradio in den DAB+-Bundesmux1 funktionierte auf der Senderseite.
Auf der Empfangsseite klappte die Umschaltung innerhalb des Bundesmux1 auf den Journaline-Dienst des Deutschlandfunks, der den Warntext transportierte und den „Warntag“ mit einer langen Live-Sendung redaktionell begleitete. Auch das Aufwecken geeigneter Geräte aus dem Standby habe „innerhalb einer Minute“ funktioniert, teilte das Digitalradio Büro mit. Schließlich hätten diese Geräte nach Abschaltung des Alarm-Signals in den Normalbetrieb zurückgeschaltet, so der Bericht.
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Der Warntext mit dem DAB+-Stick (oben) und einem älteren Radio. Fotos: dehnmedia (klickbar). |
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DAB+ hat also auf der Sender- und auf der Empfangsseite funktioniert. DAB+ und der Rundfunk haben unter dem Strich die Zuverlässigkeit für die Warnung und Information der Bevölkerung gezeigt, während die Nutzer der offiziellen
Warnapps (NINA, KatWarn etc.) über Internet und Mobilfunk nicht wie beabsichtigt erreicht werden konnte.
Die positive Bilanz des DAB+-Anteils am „Warntag“ hinterläßt aber auch einige Aufgaben, wenn über diesen Weg in Zukunft möglichst viele Menschen erreicht werden sollen:
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Die sehr sinnvolle Weckfunktion sollte zur Pflicht für DAB+-Radios gemacht werden. Einziges bekanntes geeignetes Radio ist das dRadio1, das der Hersteller Noxon auf seiner Website nicht mehr führt.
Alle Mux-Betreiber zur Verbreitung von EWF-Infos verpflichtet werden. Dann können auch die Dienststellen der Länder- oder regionalen Ebene DAB+ für zielgenaue Benachrichtigungen einsetzen.
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Das Bundesinnenministerium will künftig an jedem zweiten Donnerstag im September einen „Warntag“ durchführen. Das soll zeigen, ob die vorherigen Erkenntnisse erfolgreich umgesetzt wurden.
Diese Ankündigung war wohl etwas vollmundig: Im Monat der Bundestagswahl wollte man sich kein Orakel und schon gar keine neue Pleite leisten. Die nachfolgende neue Bundeskoalition kündigte den zweiten Warntag für den 8. Dezember 2022 an.
Neue EWF-Funktion: Alle Audiokanäle durch Ansagen der Behörden ersetzen
Im Sommer 2021 stellte die bereits genannte Nürnberger Firma AVT eine dort entwickelte neue Funktion für EWF vor: Emergency Warning Break-In (EWB) nutzt einen Encoder beim Katastrophenschutz, über den auf Knopfdruck Live-Durchsagen, begleitende Grafiken und Steuerbefehle verschickt werden. Diese Signale werden an den Senderstandorten in das Multiplexing eingebaut und ersetzen alle Audioprogramme eines Multiplexes durch die Notfalldurchsage und die begleitenden Elemente. So
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Das EWB-Konzept. Grafik: AVT (klickbar). |
werden also alle Hörer an eingeschalteten Radios (und an denen im Standby mit Weckfunktion) ohne Verzögerung erreicht. Das ist in Polen bereits im Einsatz.
Ausland
In Österreich ist EWF prinzipiell eingeführt und zunächst im Wiener DAB+-Kanal vorgesehen. Im Bedarfsfall soll der (bis März 2020 noch nicht aktive) Veranstalter Info und Kultur den Behörden Bandbreite abtreten. Die sendetechnische Abwicklung liegt in den Händen des Netzbetreibers RTG Radio Technikum.
Erstmals zum Einsatz kam EWF während der Corona-Krise 2020. Dazu wurden aktuelle Informationen in den Sprachen über fünf Audiokanäle verbreitet. Der verein Digitalradio Österreich verwies in dem Zusammenhang auf zwei Vorteile des digitalen Hörfunks mit DAB+: Zum Einen braucht es keine sendetechnischen Änderungen, abgesehen von der softwaremässigen Einrichtung der neuen Kanäle. Zum Anderen ist DAB+ ausfallsicher und vor Überlastungen geschützt - und entlastet den Datenfluß im Internet.
Andere Warndienste
Die gleichen Inhalte wie EWF wird im unerwünschten Fall eines Falles EAW zum Nutzer bringen können. „Emergency and Alert Warning“ wird als Funktion im Leistungspaket des Verkehrsinformationsstandards TPEG erarbeitet. Nach Angaben des WDR, der für die TPEG-Angebote der ARD federführend ist, wird EAW vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) unterstützt. Die Redaktionssysteme der ARD-Verkehrsredaktionen sind für die Implementierung von EAW geeignet, obwohl Ende 2018 noch nicht absehbar sei, wann EAW zur Standardisierung eingereicht werden kann und einsatzreif für den Wirkbetrieb ist.
EWF und EAW erreichen verschiedene Bevölkerungsgruppen über mehrere Geräteplattformen und in unterschiedlichen Nutzungssituationen. Beide Dienst sind keine Konkurrenten, sondern ergänzen sich.
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