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Die Digitale Dividende (2/5)

Erhebliche Störpotenziale nachgewiesen - Lasten liegen beim Verbraucher

Eine weitere Untersuchung vom Oktober 2009 geht davon aus, dass europaweit 115 Mio. TV-Zuschauer und Millionen von Breitbandnutzer von Störungen durch Mobilfunkdienste betroffen sein könnten. Die oben zitierte EBU-Warnung von 2007 bekommt damit gewaltige Dimensionen. „Kann es sein, dass der telefonierende Nachbar mit seinem Handy den ARD-„Tatort“ am Sonntagabend in der Nachbarwohnung blockiert?“, fragte denn auch die Wirtschaftszeitung Handelsblatt.

Zahlreiche Verbände aus dem Rundfunkbereich und der Veranstaltungstechnik waren vergeblich gegen das vermutete Störpotenzial durch LTE-Dienste Sturm gelaufen. Bundesnetzagentur wie Politik erwiesen sich als ausgesprochen „beratungsresistent“, so DVB-Pionier Prof. Ulrich Reimers enttäuscht. Auf Grundlage physikalischer Berechnungen hatte er ein hohes Störpotenzial der neuen Funkdienste für das Kabel- und Antennenfernsehen theoretisch nachgewiesen.

Vom Oberwiesenthaler Testprojekt berichtet der Kabelverband FRK nun nicht nur über Störungen des analogen und digitalen Kabelempfangs durch LTE-Dienste; auch das Festnetz-Internet sei betroffen.

Wie die Deutsche TV-Plattform in ihrem Expertenbericht stellt auch der FRK fest, dass aber nicht die (nach Vorschrift gebauten) Verkabelungen anfällig gegen Funkeinstrahlungen sind. Anfällig sind die Endgeräte - also Fernseher, Settopboxen, Kabelmodems usw. Sie sind naturgemäß nicht gegen diese Frequenzen abgeschirmt, denn es handelt sich um einen Teil ihres originären Arbeitsbereiches, der nun als „Digitale Dividende“ umgewidmet werden soll. Solche zusätzlichen Abschirmungen in Empfängern - vom Fernsehgerät bis zum kleinen USB-Stick - nachträglich einzubauen ist schlicht unmöglich. Beim Kabel-TV kommt hinzu, dass der Bereich bis 862 Megahertz in den letzten zehn Jahren massiv ausgebaut wurde, um mehr Programme, Internetzugänge und Telefonie anzubieten.

Gravierende Einflüsse im Nahbereich - trotz korrekter Verkabelungen - weist auch ein Test in den Niederlanden nach. Dort wurden in drei von vier Fällen Störungen des Kabelfernsehens durch LTE-Mobilgeräte nachgewiesen. In jedem zweiten Fall waren auch die Nachbarn des Nutzers betroffen. Das auch durch dicke Betonwände hindurch.

Sicherheitsabstand nicht gewährleistet

Zumindest was mögliche Störungen des Fernsehempfangs mit DVB-T betrifft hat die Bundesnetzagentur wohl bei einem weitere Aspekt zu kurz gegriffen. Sie versteigerte im UHF-Bereich sechs Frequenzpakete mit einer Bandbreite von je zweimal 5 Megahertz. Das macht zusammen 60 Megahertz in dem insgesamt nur 72 Megahertz breiten Spektrum zwischen Kanal 61 (790 Megahertz) und K 69 (862 Megahertz). Nach Abzug der Nutzbandbreite bleiben also 12 Megahertz für Schutzabstände zum Fernsehen und zwischen den neuen Funkdiensten. Ob das reicht, um den störungsfreien Betrieb der direkt unterhalb des K61 betriebenen DVB-T Sender zu gewährleisten, scheint fraglich. Die Deutsche TV-Plattform hatte mehrfach darauf hingewiesen, dass ein Schutzabstand von mindestens 10 Megahertz zwischen DVB-T und Mobildiensten notwendig sei. Eventuell werden also mehr DVB-T Multiplexe gestört und müssten umgesetzt werden als nur die wenigen, die zu Versteigerungsbeginn im April 2010 oberhalb des Kanals 61 senden.

Merkwürdiges Konjunkturprogramm

EU-Kommissarin Viviane Reding glaubt an wirtschaftliche Effekte zwischen 20 und 50 Mrd. Euro durch die Etablierung von Mobilfunkdiensten im UHF-Bereich. Die Bundesregierung spurte eine Förderung bereits vor den September-Wahlen 2009 in ihr Konjunkturprogramm ein. Die Milliardenausgaben, die als Folgekosten möglicherweise auf die privaten Haushalte zukommen, sind allerdings ein „Konjunkturprogramm“ ganz eigenen Charakters. Und das Gegenteil der im Wahlkampf versprochenen - vergleichsweise bescheidenen - „Entlastung der privaten Haushalte“.

Dass es ganz anders kommen könnte, deutet die baden-württembergische Landesmedienanstalt LfK an. Sie mahnt unter anderem die „Eigenverantwortung der Nutzer“ an und empfiehlt die Verwendung von Dachantennen für DVB-T. Ob's dann auch mit dem Nachbarn klappt, steht in den Sternen.

Rechtsschritte ohne Wirkung?

Gleichwohl hängt in Ende 2009 die Einführung der neuen Mobilfunkdienste in diesem Frequenzbereich in Deutschland aus zwei Gründen in der Luft:
Das Mobilfunkunternehmen E-Plus klagt gegen das Verfahren der Auktion. Es sieht sich im Nachteil, weil sie (wie auch O2) nur um zwei der sechs zu versteigernden Frequenzbereiche bieten zu können, während die anderen vier auch von den beiden Branchenriesen T-Mobile und Vodafone benutzt werden können. Die E-Plus-Klage hat jedoch keine aufschiebende Wirkung, so dass sie die Auktion nicht verhindern kann. Ebenfalls abgewiesen wurden weitere Klagen von Mobilfunkunternehmen.
Auch die EU-Kommission drohte zunächst mit Widerstand. Da ging es nicht um grundsätzliche Bedenken oder verbraucherfreundliche Motive. Denn die EU ist Mitinitiator der Frequenzumwidmung. Vielmehr wollte auch die EU-Kommission das Verfahren, in dem sie die beiden Kleinen der vier deutschen Mobilfunkunternehmen benachteiligt sieht, juristisch angreifen. Es blieb allerdings bei der Drohung. Ende Dezember 2009 sicherte die Bundesnetzagentur zu, drei Monate nach der Auktion eine Prüfung auf etwaige Wettbewerbsverzerrungen durchzuführen. Im Gegenzug verzichtete die EU auf Rechtsmittel.
Anfang 2010 wurde bekannt, dass auch die Kabelversorger KDG und Kabel BW sowie WDR, NDR und SWR den Klageweg beschritten haben. Sie befürchten, dass „Millionen Endgeräte von Kabelkunden, aber auch Nutzer von DVB-T“ von Störungen betroffen sein werden. Gefordert wurde eine Aussetzung der Versteigerung, bis zur Sicherstellung, dass Störungen nicht eintreten werden. Die Klage von Kabel BW wurde beim Verwaltungsgericht Köln abgewiesen. Störungen seien nicht „von vornherein (als) unverträglich anzusehen“, begründet das Gericht die Entscheidung. Daher „könne auftretenden Störungen deswegen auch noch mit späteren Maßnahmen begegnet werden“. Für die weiteren anhängigen Verfahren werden ähnliche Urteile erwartet.

Mit diesen Entscheidungen wird die Einführung der neuen Technik sanktioniert und statt einer vernünftigen Folgeabschätzung gewartet, bis Schädigungen eingetreten sind.

Ersatzfrequenzen für den Veranstaltungsfunk mit Widerhaken

Indessen ist die BNetzA dem Auftrag nachgekommen, dem Veranstaltungsfunk vor der Auktion Ersatzfrequenzen zuzuteilen. Durch ihre „Verwaltungsvorschriften für Frequenzzuteilungen im nichtöffentlichen mobilen Landfunk (VVnömL)“ vom 3. März 2010 teilt die Behörde nunmehr dem Veranstaltungsfunk den UHF-Bereich zwischen 710 und 790 Megahertz (TV-Kanäle 51 bis 60) zu. Begründung: Es kann „auf Grund des Ausbaus des Mobilfunknetzes für den 'drahtlosen Netzzugang zum Angebot von Telekommunikationsdiensten' zu Störungen kommen“. Damit bestätigt die BNetzA die bekannten Befürchtungen.

Jetzt wird es in diesem Frequenzbereich aber noch enger - das Fernsehen und der Produktionsfunk kommen vom Regen in die Traufe. Obendrein werden jetzt Gebühren für die Frequenzzuteilung erhoben.

Schadenersatz mit Tücken

Noch Ärger sind die Kosten für die neue Funktechnik: Die Bundesländer hatten der Frequenzneuordnung erst zugestimmt, nachdem die Bundesregierung Entschädigungen für Neuanschaffungen zusagte:
„Der Bund wird die Kosten, die sich nachweislich aus notwendigen Umstellungen bis Endes des Jahres 2015 bei denjenigen ergeben, die die Frequenzen 790 bis 862 Megahertz bisher nutzen, Rundfunksendeunternehmen und Sekundärnutzer, insbesondere Kultur- und Bildungseinrichtungen, in angemessener Form tragen.“
Der Pferdefuss findet sich im letzten Nebensatz. Nach der erst am 15. November 2011 in Kraft getretenen „Richtlinie über die Gewährung von Billigkeitsleistungen des Bundes an Sekundärnutzer wegen anrechenbarer störungsbedingter Umstellungskosten aus der Umwidmung von Frequenzen im Bereich 790 bis 862 MHz“ (RL-BillStörKo) werden Entschädigungen nur für Funktechnik gezahlt, die zwischen dem 1. Januar 2006 und dem 1. Dezember 2009 angeschafft wurde. Zugleich muss nachgewiesen werden, dass „durch eine in Betrieb befindliche LTE-Anwendung im selben Frequenzbereich (die Geräte) so gestört sind, dass eine weitere Nutzung der Geräte ausgeschlossen ist“. Die betroffenen Unternehmen werden mit dem Zeitwert ihrer Geräte abgefunden.

Allein die öffentlich getragenen Einrichtungen, darunter u.a. Staats- und Landestheater, Kongresszentren usw., erwarten Folgekosten von 3 Milliarden Euro für den Ersatz ihrer Funkeinrichtungen.

„Die Voraussetzungen für die Räumung der Rundfunkkanäle 61 bis 69, und zwar befriedigende Lösungen der Störproblematik sowie eine Kostenerstattung für die Verlagerung der DVB-T-Sender und Drahtlosmikrofone, sind bisher nicht erfüllt“, hatte ein ARD-Vertreter die Situation kommentiert. In der Richtlinie ist von Entschädigungen für Fernseh-Sendetechnik nicht mehr die Rede. Die Konsequenzen, auch aus der Verspätung der Richtlinie, zeigten sich im Oktober 2010: RTL war aufgrund der Digitalen Dividende gezwungen, seinen Übertragungskanal in Nürnberg zu wechseln. Die Senderfamilie stieg aber komplett aus und argumentierte wie folgt:
„Ein störungsfreier Empfang von Fernsehprogrammen bei gleichzeitiger Nutzung von Rundfunkfrequenzen für das mobile Internet wurde von der Bundesnetzagentur nicht hinreichend geklärt. Daher macht die Mediengruppe RTL Deutschland von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch. Zudem ist auch die grundsätzliche Frage einer Entschädigung der Sender für etwaige wirtschaftliche Schäden aus der Frequenzumwidmung bisher nicht abschließend geklärt.“
Damit ist prinzipiell eine Entschädigung an ARD, ZDF und Private für Wechselkosten ausgeschlossen. Keinen Ersatz gibt es auch für Privatleute, die beispielsweise Funkopfhörer nutzen, die im oberen UHF-Bereich arbeiten.

Die Entschädigungszusage und ihre Umsetzung erweisen sich damit als Windei, die Folgekosten werden auf Länder und Gemeinden, die Rundfunkanstalten und Filmproduzenten, öffentliche Kulturbetriebe und private Haushalte verlagert. Für die Folgekosten von Störungen müsse der Verursacher aufkommen, nicht der Verbraucher, forderten die Verbraucherzentralen. Da stehen möglicherweise langwierige juristische Auseinandersetzungen bevor, um festzustellen, wer verantwortlich ist und ob und in welcher Höhe Entschädigung bzw. Schadensersatz zu leisten ist. Millionen „normalen“ Fernsehzuschauern, deren Settopboxen und Fernseher möglicherweise wertlos werden, bleibt der aufwändige Rechtsweg schon wegen der Anwalts- und Gerichtskosten wohl eher versperrt.

Ungeachtet aller Bedenken begann die Frequenzauktion am 12. April 2010. Sie spülte 4,38 Mrd. Euro in die Bundeskasse, davon entfallen allein 3,58 Mrd. Euro auf die besonders attraktiven Frequenzen im oberen UHF-Bereich. Erwartete werden darf, dass wesentliche Anteile des Erlöses letztlich über die Breitbandförderung des Bundes an die Auktionsgewinner zurückfließen. Ein schönes Nullsummengeschäft - nur für die vier Telekoms.

Weitere Informationen:
dehnmedia-Meldung zur LTE-Broschüre der LfM.
dehnmedia-Meldung zur RL-BillStörKo.
dehnmedia-Meldung zum RTL-Ausstieg in Nürnberg.
dehnmedia-Meldung zum Auktionsende.
dehnmedia-Meldungen zum Auktionsverlauf: 4. Woche, 3. Woche, 2. Woche, 1. Woche.
Internetseiten der BNetzA zu Hintergrund und Ablauf der Versteigerung.
dehnmedia-Meldungen zu Kritik von TV Plattform und Bühnenverein vom 14.4.2010, Verbraucherschutz und IRT vom 12.4.2010, ZVEI vom 12.4. und 25.3.2010 und ARD/ZDF vom 8.4.2010; positive Position von Bitkom vom 9.4.2010.
Wortlaut der Verwaltungsvorschrift vom 3.3.2010.
dehnmedia-Meldung zur Zuteilung von Ersatzfrequenzen für den Veranstaltungsfunk vom 13.3.2010.
dehnmedia-Meldung zur Abweisung der Kabel BW vom 8.3.2010.
dehnmedia-Meldung zu den weiteren Klagen von Kabelgesellschaften und Sendern vom 15.1.2010.
dehnmedia-Meldung zum Rückzug der EU-Klage vom 23.12.2009.
dehnmedia-Meldungen zum Test in den Niederlanden vom 3.12.2009.
dehnmedia-Meldung zu Warnungen von 2007 vom 3.12.2009.
dehnmedia-Meldungen zum Expertenbericht der Deutschen TV-Plattform zur „Verträglichkeit zwischen Rundfunk und Mobilfunk im UHF-Band“ vom 1.10.2009 und 19.11.2009
dehnmedia-Meldung zu Ergebnissen eines Praxistests des FRK 19.11.2009.
dehnmedia-Meldung zur EU-Kommission 7.11.2009.
dehnmedia-Meldung zur IFA-Pressekonferenz der Deutschen TV-Plattform vom 9.9.2009 und Vortrag von Prof. Reimers mit Berechnung des Störpotenzials.

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